Nietzsche und die Musik



Hymnus an die Freundschaft
1. Ein neuer Fund:
Das Allegro von 1858 bis ca. 1864


2. Chiffren des Unsagbaren

3. Wagner zu Nietzsches "Sylvesternacht"

4. Das Urteil Hans von Bülows

5. Nietzsche Haltung zu Liszt (Kai Agthe)

6. Nietzsche zu Bizet und Wagner

7. C.P.Janz über Nietzsches Kompositionen

8. Nietzsche als Komponist - ein Vortrag

9. Der Operncoup von Siegfried Matthus:
Die Nietzsche-Oper "Cosima" in Braunschweig und Gera


10. Discografie

"Gott hat uns die Musik gegeben, damit wir erstens, durch sie nach oben geleitet werden. Die Musik vereint alle Eigenschaften in sich, sie kann erheben, sie kann tändeln, sie kann uns aufheitern, ja sie vermag mit ihren sanften, wehmütigen Tönen das rohesten Gemüt zu brechen. Aber ihre Hauptbestimmung ist, daß sie unsre Gedanken auf Höheres leitet, daß sie uns erhebt, sogar erschüttert. ... Auch gewährt die Musik eine angenehme Unterhaltung und bewahrt jeden, der sich dafür interessiert, vor Langeweile. Man muß alle Menschen, die sie verachten, als geistlose, den Tieren ähnliche Geschöpfe betrachten. Immer sei diese herrlichste Gabe Gottes meine Begleiterin auf meinem Lebenswege und ich kann mich glücklich preisen, sie liebgewonnen zu haben. Ewig Dank sei Gott von uns gesungen, der diesen schöen Genuß uns darbietet!"

Nietzsche 1858 als knapp Vierzehnjähriger "Über Musik" (in: "Aus meinem Leben")


Nietzsche liebte Zeit seines Lebens die Musik - erklärte er doch gar ein Leben ohne Musik zu einem Irrtum ... Schon in der frühen Jugend hatte er das Klavierspiel erlernt und sich darin recht gute Fertigkeiten angeeignet. Er pflegte dies auch recht lange, so ist bekannt, daß er noch in Basel zusammen mit seinem besten Freund Franz Overbeck gerne vierhändig spielte.
Schon früh beschäftigte er sich mit der zeitgenössischen Musikliteratur, insbesondere der Musik Wagners, den er als Student in Leipzig kennenlernte. Und er komponierte sogar selbst: er vertonte Gedichte und schrieb fürs Klavier einen "Hymnus an die Freundschaft" und im Gefolge Schumanns eine "Manfred-Meditation". Von diesen Kompositionen finden Sie im zeitlichen Wechsel verschiedene Ausschnitte vor, die Sie anhören oder herunterladen können.
Er stand allerdings seinen eigenen musikalischen Schöpfungen nicht kritiklos gegenüber - vielmehr schickte er seine "Manfred-Medition" an den berühmten Dirigenten und Pianisten Hans von Bülow. Dieser attestierte ihm zwar ein gewisses Geschick bei der Vertonung von Gedichten, meinte aber, daß seine Manfred-Komposition Notzucht an Euterpe sei. Ein andermal hatte er bei Wagners in Tribschen eine seiner Kompositionen vorgelegt - und war naturgemäßig damit auf wenig Gegenliebe gestoßen.
Bei solcher Musiklieberhaberschaft verwundert es nicht, daß sich Nietzsche Zeit seines Lebens auch in seinem Werk immer wieder zur Musik und natürlich vor allem zu Wagner geäußert hat - zwei seiner Werke führen gar dessen Namen im Titel:

  • die Vierte Unzeitgemäße Betrachtung, betitelt "Richard Wagner in Bayreuth"
  • die aus dem Nachlaß editierten Schriften "Der Fall Wagner" und "Nietzsche contra Wagner"

Auf dieser Seite soll daher neben der Musik Nietzsches selbst, die Sie mit den folgenden Links hören oder herunterladen können, Nietzsche für sich selbst sprechen in Briefen und ausgewählten Ausschnitten seines philosophisch-dichterischen Werkes.


Die Kompositionen Nietzsches

Die Texte zu den Kompositionen finden Sie auf dieser Seite. Sie sollten bei den Musikstücken allerdings eine gewisse Ladezeit bei einer Dateigröß von ca. 200-500 Kb berücksichtigen

Die jeweils farbig gekennzeichneten Links sind abspiel- bzw. herunterladbar.
Schauen Sie auch auf der englischen Version dieser Seite nach, um zu weiteren Download-Möglichkeiten zu gelangen!

Ausführende:
Dietrich Fischer-Dieskau (Bariton, Rezitation, Vortrag, Klavier)
Aribert Reimann (Klavier)
Konzert an der Staatlichen Hochschule für Musik in München vom 27.09.1981

Autor des GedichtsName des GedichtsLänge
Klaus Groth"Mein Platz vor der Thür"202 KB
Klaus Groth"Da geht ein Bach"178 KB
Sándor Petöfi"Nachspiel"278 KB
Sándor Petöfi"Unendlich"286 KB
Sándor Petöfi"Verwelkt"204 KB
Alexander Puschkin"Beschwörung"477 KB
Friedrich Nietzsche"Es winkt und neigt sich"192 KB
H. v. Fallersleben"Wie sich Rebenranken schwingen"166 KB

Manfred-Meditation Teil 1496 KB
Manfred-Meditation Teil 2523 KB
Manfred-Meditation Teil 3491 KB
Hymnus an die Freundschaft412 KB

 

Ein neuer Fund:
Ein frühes Allegro für Klavier (368 KB), das Nietzsche seit 1858 immer wieder bearbeitete, bis es in der Leipziger Zeit seine Schlußfassung fand. Nietzsche verwendet hier Beethovensche Motive, was deutlich, etwa im Anklang an die Mondscheinsonate, zu hören ist. Es spielt Michael Tannenbaum bei einem Vortragskonzert der Ev. Akademie Hofgeismar vom 28.10.2000.

 

Nietzsches Jugendkompositionen beim VII. Dortmunder Kolloquium 2001:
"Ungewitter" (1864) nach Chamisso, wurde im Rahmen einer Aufführung von Jugendkompositionen durch H. Kuhmann und T. Baumann auf der genannten Veranstaltung von Prof. H.J. Schmidt, Uni Dortmund, interpretiert. Näheres finden Sie auf meiner Werke-Seite bzw. auf dieser Seite ganz unten.

 

Jugendkompositionen und -texte beim VIII. Dortmunder Kolloquium 2003:
"Das Kind an die erloschene Kerze" nach Chamisso (1 MB), wurde im Rahmen einer Aufführung von Jugendkompositionen durch H. Kuhmann und T. Baumann auf der genannten Veranstaltung von Prof. H.J. Schmidt, Uni Dortmund, interpretiert. Ebenso ein kleines Klavierstück Nietzsches (Holger Kuhmann) "Aus der Czarda" (968 KB).
Das Inhaltsverzeichnis der CD sowie eine Bestellmöglichkeit finden Sie auf der Aktuell-Seite!

 

Nietzsche-Kompositionen bei YouTube:

Heldenklage
Mein Platz vor der Tür
Da geht ein Bach
Beschwörung
Verwelkt
Wie sicht Rebenranken schwingen
Gebet an das Leben
Hymnus an die Freundschaft
Das zerbrochene Ringlein (Fischer-Dieskau/Reimann
Das zerbrochene Ringlein

Allegro
Aus der Czardas
Albumblatt
Mazurka
Zigeunertanz
Phantasie
Unendlich


 

Chiffren des Unsagbaren

Nietzsche als Komponist - Fritz Schleicher in den "Nürnberger Nachrichten" über eine Wiederholung dieses Konzerts in Bamberg

Wunder geschehen im internationalen Konzertbetrieb gelegentlich nur, wenn sich bedeutende Künstler von Repertoirezwängen befreien, wenn sie Rollen und Masken abstreifen und ohne Gala-Gage etwas tun, was ihnen Spaß macht, etwas Neues ausprobieren, sich auf ein Abenteuer einlassen, dessen Ausgang und Erfolg unsicher sind.
Die Sternstunde eines solchen Pilotprojekts stellte sich ein, als Dietric Fischer-Dieskau und Aribert Reimann in einem Konzert ausschließlich Kompositionen von Friedrich Nietzsche vorführten. Zum erstenmal wagte jemand, praktisch zu prüfen, wie sich der Philosoph, der so viel und so wesentliches über Musik sagte, in Musik ausdrücken konnte.
... Fischer Dieskau und Reimann (als exzellenter Pianist) realisierten Nietzsches "Hymnus auf die Freundschaft" für Klavier, acht Lieder, das Melodram vom zerbrochenen Ringlein (Sprechstimme und Klavier) und vierhändig die Manfred-Meditation.
... Deshalb standen Nietzsches Lieder im Mittelpunkt des Interesses. Hier, wo sich der handwerklich wenig geschulte Amateur-Komponist in seiner Sensibilität vom Wort leiten lassen konnte, gelangen ihm phantasievolle, melodisch wie harmonisch einprägsame Schöpfungen. Wie er den Grabeshauch und die Leidensphysiognomie aus Puschkins "Beschwörung" in künstlerische Form zwang, fasziniert.
Auch in anderen Gesängen (nach Petöfi, Hoffmann von Fallersleben und eigenen Texten) spricht der Lyriker eine unmittelbare Tonsprache, erreicht Schönheiten, die an sein Vorbild Schumann erinnern und Kühnheiten, deren diagnostischer Blick Mahler vorausahnen läßt.
Nietzsches Musik offenbart seine schöpferische Sehnsucht, seine künstlerische Aktivität. Der denkwürdige Abend in Bamberg zeigte auch den komplizierten, von Skepsis und vernichtenden Urteilen begleiteten Prozeß, in sich den inneren Musiker freizumachen und zum Singen zu bringen.
Der die Geburt der Tragödie aus dem Geist der Musik ableitete, der in Briefen Worte durch einen Akkord ersetzte, um eine Stimmung genauer mitzuteilen, für den Musik eine Passion war, für Nietzsche sind Töne, Klänge und Rhythmen immer Chiffren des Unsagbaren. Je mehr er an der großen symphonischen Form scheiterte, vertraute er Wesentliches dem Klavier und der Singstimme an.
Aribert Reimann machte am Bösendorfer-Flügel mit elastischem Pathos die hauchzarte Sensibilität und die dionysische Vielfalt des komponierenden Denkers und Grüblers hörbar, besonders in der dämonischen Ironie der Manfred-Meditation.
Auch wenn diese außergewöhnliche Pionier-Präsentation keine Entdeckung eines genialen Tonsetzers brachte (das war nicht zu erwarten), ihr Informations- und Erlebniswert wiegt schwer. Er setzt einen leuchtenden Stein ins große Mosaik der gegenwärtig aktuellen Nietzsche-Retrospektive.


Richard Wagner zu

Nietzsches Nachklang einer Sylvesternacht

Weihnachten 1871 hatte Nietzsche seine neue Komposition Nachklang einer Sylvesternacht, die er zum Vierhändigspielen mit Overbeck aus alten Motiven "generalüberholt" hatte, Frau Cosima zu Weihnachten verehrt, war aber (wohlweislich den Vergleich scheuend in der Erinnerung, daß im Vorjahr Richard Wagners Tribschener Idyll unter dem Weihnachtsbaum gelegen hatte – s. Wagner-Seite / Tribschen) selbst trotz Einladung ferngeblieben: "Frau Wagner, deren Geburtstag am 25. December ist ... habe ich meine ‚Sylvesternacht‘ gewidmet und bin gespannt, was ich über meine musikalische Arbeit von dort aus zu hören bekomme, da ich noch nie etwas Competentes zu hören bekam." (An Rohde, Briefwechsel S. 277, ca. 20. Dezember 1871)

Hören Sie einen Ausschnitt aus dieser Komposition für Klavier und Violine!

Lassen wir den Fortgang Janz erzählen (I, 427 f.):

"Die Beschenkte reagierte feinfühlig-rücksichtsvoll am 30. Dezember 1871: »Sylvester-Tag soll für die Sylvester-Nacht-Klänge danken; gemeinsame Eindrücke zur Erinnerung geworden, leuteten durch die Mitternachtsglocken meinem diesjährigen Geburtstag, und ich sage dem freundlichen Melomanen Dank!« Erst 15 Jahre später, im November 1887, gibt sie in einem Brief an Felix Mottl etwas davon frei, was sich in Tribschen abgespielt hatte : »Jakob Stocker, mein damaliger Diener... blieb beim Abdecken des Tisches... stehen, hörte aufmerksam zu, wandte sich endlich ab mit den Worten >schint mir nicht gut<. Ich gestehe, daß ich vor Lachen, trotz meiner damaligen großen Freundschaft, gar nicht weiterspielen konnte.« Ausführlicher schildert die Szene Hans Richter, der »mit der Frau Meisterin zusammen die >Silvesterglocken< spielte. Wagner saß unruhig dabei, knetete sein Barett und ging vor Schluß hinaus ... ich fürchtete ein Donnerwetter. Aber Jakobs Kritik (die Richter ebenfalls überliefert) hatte es abgeschwächt; ich fand den Meister bloß in vollem Lachen. >Da verkehrt man nun schon seit anderthalb Jahren mit dem Menschen, ohne dergleichen zu ahnen; und nun kommt er so meuchlings, die Partitur im Gewande.« Dennoch durfte Nietzsche bei seinem nächsten Besuch in Tribschen am 20. Januar 1872 den Eindruck verbessern. Cosima notiert in ihrem Tagebuch: »Professor Nietzsche, dessen Besuch uns sehr freut. Viel durchgesprochen; Pläne für künftige Zeiten, Reform der Schule usw.; er spielt uns seine Komposition sehr schön vor.«"


Das Urteil Hans von Bülows über die Musik Nietzsches
H. v. Bülow

Nietzsche war natülich im Hause Wagner der Name Hans von Bülow nicht unbekannt geblieben - und so sandte er ihm seine "Geburt der Tragödie" zu (1872). Nach einem Besuch in Basel - Wagner bereitete sich bereits auf die Abreise nach Bayreuth vor - sah man sich in München wieder, wo Hans von Bülow auf Geheiß Ludwig II. und gegen den Willen Wagners Tristan und Isolde dirigierte.
Für "den erhabensten Kunsteindruck meines Lebens" dankend, nahm Nietzsche dies zum Anlaß, Hans von Bülow seine Manfred-Meditation zur Beurteilung vorzulegen. In einem selbstironischen Anschreiben nannte er seine Musik "zweifelhaft", gar "entsetzlich". Diese Selbstqualifizierung Nietzsches hielt Bülow jedoch nicht ab, eine ehrliche Antwort zu geben. Es handele sich um "das Extremste von phantastischer Extravaganz", das "Unerquicklichste und Antimusikalischste", was ihm seit langem zu Gesicht gekommen sei. Ob das Ganze ein Scherz sei, eine musikalische Parodie auf die "Zukunftsmusik"? Habe er mit Bewußtsein allen Regeln der Tonverbindung, der höheren Syntax wie der gewöhnlichen Rechtschreibung, Hohn gesprochen? Sein musikalisches Fieberprodukt sei in der Welt der Musik das gleiche wie ein Verbrechen in der moralischen Welt, die Muse der Musik, Euterpe, sei genotzüchtigt worden. Wenn er ihm einen guten Rat geben solle für den Fall, daß er "die Aberration ins Componiergebiet" wirklich ernst gemeint habe, dann möge er Vokalmusik komponieren, da könne das Wort "auf dem wilden Tonmeere" das Steuer führen. So sei seine Musik noch "entsetzlicher", als er es selbst meine: nämlich in höchstem Maße schädlich für ihn selbst. Immerhin sei in dem "musikalischen Fieberprodukte" bei aller Verirrung ein distinguierter Geist zu spüren, und in gewissem Sinne sei er selbst, mit der Aufführung des Tristan, indirekt daran schuldig, "einen so hohen und erleuchteten Geist wie den Ihrigen, verehrter Herr Professor, in so bedauerliche Klavierkrämpfe gestürzt zu haben." (W. Ross, Der ängstliche Adler, S. 321 f.)

Nietzsche besaß jedenfalls genügend Freimut, den Brief seinen Freunden mitzuteilen, und so schrieb er etwa an Erwin Rohde: "Der Brief Bülows ist für mich unschätzbar in seiner Ehrlichkeit, lies ihn, lache mich aus und glaube mir, daß ich vor mir selbst in einen solchen Schrecken geraten bin, um seitdem kein Klavier anrühren zu können."


Hören Sie dazu einen Podcast von BR Klassik: Bülow contra Nietzsche vom 19.12.2009
mit Ausschnitten von Nietzsches Musik!


Auch dem Kapellmeister Friedrich Hegar (s. Wagner-Seite / Triumphlied) hatte Nietzsche seine Manfred-Meditation 1874 zugeschickt. Zur Rücksendung schrieb ihm dieser: "... ich hoffte immer, dieselbe persönlich zurückbringen und Ihnen bei dieser Gelegenheit sagen zu können, wie sehr mich vieles interessierte, namentlich die Art und Weise, wie Sie der zu Grunde liegenden Stimmung musikalisch Ausdruck zu geben versuchen. Freilich fehlt dem ganzen, was die Gestaltung der musikalischen Ideen anbetrifft, die Erfüllung gewisser architektonischer Bedingungen so, daß mir die Komposition mehr den Eindruck einer stimmungsvollen Improvisation als eines durchdachten Kunstwerks macht." (Janz I, 580)


Nietzsche über die Musik Bizets und Wagners

Der Fall Wagner - Turiner Brief vom Mai 1888

ridendo dicere severum...

1

Ich hörte gestern – werden Sie es glauben? – zum zwanzigsten Male Bizets Meisterstück. Ich harrte wieder mit einer sanften Andacht aus, ich lief wieder nicht davon. Dieser Sieg über meine Ungeduld überrascht mich. Wie ein solches Werk vervollkommnet! Man wird selbst dabei zum »Meisterstück«. – Und wirklich schien ich mir jedesmal, daß ich Carmen hörte, mehr Philosoph, ein besserer Philosoph, als ich sonst mir scheine: so langmütig geworden, so glücklich, so indisch, so seßhaft... Fünf Stunden Sitzen: erste Etappe der Heiligkeit! – Darf ich sagen, daß Bizets Orchesterklang fast der einzige ist, den ich noch aushalte? Jener andere Orchesterklang, der jetzt obenauf ist, der Wagnersche, brutal, künstlich und »unschuldig« zugleich und damit zu den drei Sinnen der modernen Seele auf einmal redend – wie nachteilig ist mir dieser Wagnersche Orchesterklang! Ich heiße ihn Schirokko. Ein verdrießlicher Schweiß bricht an mir aus. Mit meinem guten Wetter ist es vorbei.

Diese Musik scheint mir vollkommen. Sie kommt leicht, biegsam, mit Höflichkeit daher. Sie ist liebenswürdig, sie schwitzt nicht. »Das Gute ist leicht, alles Göttliche läuft auf zarten Füßen«: erster Satz meiner Ästhetik. Diese Musik ist böse, raffiniert, fatalistisch: sie bleibt dabei populär – sie hat das Raffinement einer Rasse, nicht eines einzelnen. Sie ist reich. Sie ist präzis. Sie baut, organisiert, wird fertig: damit macht sie den Gegensatz zum Polypen in der Musik, zur »unendlichen Melodie«. Hat man je schmerzhaftere tragische Akzente auf der Bühne gehört? Und wie werden dieselben erreicht! Ohne Grimasse! Ohne Falschmünzerei! Ohne die Lüge des großen Stils! – Endlich: diese Musik nimmt den Zuhörer als intelligent, selbst als Musiker – sie ist auch damit das Gegenstück zu Wagner, der, was immer sonst, jedenfalls das unhöflichste Genie der Welt war (Wagner nimmt uns gleichsam als ob – –, er sagt ein Ding so oft, bis man verzweifelt – bis man's glaubt).

Und nochmals: ich werde ein besserer Mensch, wenn mir dieser Bizet zuredet. Auch ein besserer Musikant, ein besserer Zuhörer. Kann man überhaupt noch besser zuhören? – Ich vergrabe meine Ohren noch unter diese Musik, ich höre deren Ursache. Es scheint mir, daß ich ihre Entstehung erlebe – ich zittere vor Gefahren, die irgendein Wagnis begleiten, ich bin entzückt über Glücksfälle, an denen Bizet unschuldig ist. – Und seltsam! im Grunde denke ich nicht daran, oder weiß es nicht, wie sehr ich daran denke. Denn ganz andere Gedanken laufen mir währenddem durch den Kopf... Hat man bemerkt, daß die Musik den Geist frei macht? dem Gedanken Flügel gibt? daß man um so mehr Philosoph wird, je mehr man Musiker wird? – Der graue Himmel der Abstraktion wie von Blitzen durchzuckt; das Licht stark genug für alles Filigran der Dinge; die großen Probleme nahe zum Greifen; die Welt wie von einem Berge aus überblickt. – Ich definierte eben das philosophische Pathos. – Und unversehens fallen mir Antworten in den Schoß, ein kleiner Hagel von Eis und Weisheit, von gelösten Problemen... Wo bin ich? – Bizet macht mich fruchtbar. Alles Gute macht mich fruchtbar. Ich habe keine andre Dankbarkeit, ich habe auch keinen andern Beweis dafür, was gut ist.

2

Auch dies Werk erlöst; nicht Wagner allein ist ein »Erlöser«. Mit ihm nimmt man Abschied vom feuchten Norden, von allem Wasserdampf des Wagnerschen Ideals. Schon die Handlung erlöst davon. Sie hat von Mérimée noch die Logik in der Passion, die kürzeste Linie, die harte Notwendigkeit; sie hat vor allem, was zur heißen Zone gehört, die Trockenheit der Luft, die limpidezza in der Luft. Hier ist in jedem Betracht das Klima verändert. Hier redet eine andere Sinnlichkeit, eine andere Sensibilität, eine andre Heiterkeit. Diese Musik ist heiter; aber nicht von einer französischen oder deutschen Heiterkeit. Ihre Heiterkeit ist afrikanisch; sie hat das Verhängnis über sich, ihr Glück ist kurz, plötzlich, ohne Pardon. Ich beneide Bizet darum, daß er den Mut zu dieser Sensibilität gehabt hat, die in der gebildeten Musik Europas bisher noch keine Sprache hatte – zu dieser südlicheren, bräuneren, verbrannteren Sensibilität... Wie die gelben Nachmittage ihres Glücks uns wohltun! Wir blicken dabei hinaus: sahen wir je das Meer glätter? – Und wie uns der maurische Tanz beruhigend zuredet! Wie in seiner lasziven Schwermut selbst unsre Unersättlichkeit einmal Sattheit lernt! – Endlich die Liebe, die in die Natur zurückübersetzte Liebe! Nicht die Liebe einer »höheren Jungfrau«! Keine Senta-Sentimentalität! Sondern die Liebe als Fatum, als Fatalität, zynisch, unschuldig, grausam – und eben darin Natur! Die Liebe, die in ihren Mitteln der Krieg, in ihrem Grunde der Todhaß der Geschlechter ist! – Ich weiß keinen Fall, wo der tragische Witz, der das Wesen der Liebe macht, so streng sich ausdrückte, so schrecklich zur Formel würde, wie im letzten Schrei Don Josés, mit dem das Werk schließt:

»Ja! Ich habe sie getötet,
ich – meine angebetete Carmen!«

(Hören Sie sich diesen Ausschnitt hier an!)

– Eine solche Auffassung der Liebe (die einzige, die des Philosophen würdig ist –) ist selten: sie hebt ein Kunstwerk unter tausenden heraus. Denn im Durchschnitt machen es die Künstler wie alle Welt, sogar schlimmer – sie mißverstehen die Liebe. Auch Wagner hat sie mißverstanden. Sie glauben in ihr selbstlos zu sein, weil sie den Vorteil eines andren Wesens wollen, oft wider ihren eigenen Vorteil. Aber dafür wollen sie jenes andre Wesen besitzen... Sogar Gott macht hier keine Ausnahme. Er ist ferne davon zu denken »was geht dich's an, wenn ich dich liebe?« – er wird schrecklich, wenn man ihn nicht wiederliebt. L'amour – mit diesem Spruch behält man unter Göttern und Menschen recht – est de tous les sentiments le plus égoïste, et par conséquent, lorsqu'il est blessé, le moins généreux. (B. Constant.)

3

Sie sehen bereits, wie sehr mich diese Musik verbessert? – Il faut méditerraniser la musique: ich habe Gründe zu dieser Formel (Jenseits von Gut und Böse: II 723). Die Rückkehr zur Natur, Gesundheit, Heiterkeit, Jugend, Tugend! – Und doch war ich einer der korruptesten Wagnerianer... Ich war imstande, Wagner ernst zu nehmen... Ah dieser alte Zauberer! was hat er uns alles vorgemacht! Das erste, was seine Kunst uns anbietet, ist ein Vergrößerungsglas: man sieht hinein, man traut seinen Augen nicht – alles wird groß, selbst Wagner wird groß;... Was für eine kluge Klapperschlange! Das ganze Leben hat sie uns von »Hingebung«, von »Treue«, von »Reinheit« vorgeklappert, mit einem Lobe auf die Keuschheit zog sie sich aus der verderbten Welt zurück! – Und wir haben's ihr geglaubt...

– Aber Sie hören mich nicht? Sie ziehen selbst das Problem Wagners dem Bizets vor? Auch ich unterschätze es nicht, es hat seinen Zauber. Das Problem der Erlösung ist selbst ein ehrwürdiges Problem. Wagner hat über nichts so tief wie über die Erlösung nachgedacht: seine Oper ist die Oper der Erlösung. Irgendwer will bei ihm immer erlöst sein: bald ein Männlein, bald ein Fräulein – dies ist sein Problem. – Und wie reich er sein Leitmotiv variiert! Welche seltenen, welche tiefsinnigen Ausweichungen! Wer lehrte es uns, wenn nicht Wagner, daß die Unschuld mit Vorliebe interessante Sünder erlöst? (der Fall im Tannhäuser). Oder daß selbst der ewige Jude erlöst wird, seßhaft wird, wenn er sich verheiratet? (der Fall im Fliegenden Holländer). Oder daß alte verdorbene Frauenzimmer es vorziehn, von keuschen Jünglingen erlöst zu werden? (der Fall Kundry). Oder daß schöne Mädchen am liebsten durch einen Ritter erlöst werden, der Wagnerianer ist? (der Fall in den Meistersingern). Oder daß auch verheiratete Frauen gerne durch einen Ritter erlöst werden? (der Fall Isoldens). Oder daß »der alte Gott«, nachdem er sich moralisch in jedem Betracht kompromittiert hat, endlich durch einen Freigeist und Immoralisten erlöst wird? (der Fall im »Ring«). Bewundern Sie insonderheit diesen letzten Tiefsinn! Verstehn Sie ihn? Ich – hüte mich, ihn zu verstehn... Daß man noch andere Lehren aus den genannten Werken ziehn kann, möchte ich eher beweisen als bestreiten. Daß man durch ein Wagnersches Ballett zur Verzweiflung gebracht werden kann – und zur Tugend! (nochmals der Fall Tannhäusers). Daß es von den schlimmsten Folgen sein kann, wenn man nicht zur rechten Zeit zu Bett geht (nochmals der Fall Lohengrins). Daß man nie zu genau wissen soll, mit wem man sich eigentlich verheiratet (zum drittenmal der Fall Lohengrins). – Tristan und Isolde verherrlichen den vollkommnen Ehegatten, der, in einem gewissen Falle, nur eine Frage hat: »aber warum habt ihr mir das nicht eher gesagt? Nichts einfacher als das!« Antwort:

»Das kann ich dir nicht sagen;
und was du frägst,
das kannst du nie erfahren.«

Der Lohengrin enthält eine feierliche In –Acht-Erklärung des Forschens und Fragens. Wagner vertritt damit den christlichen Begriff »du sollst und mußt glauben«. Es ist ein Verbrechen am Höchsten, am Heiligsten, wissenschaftlich zu sein... Der fliegende Holländer predigt die erhabne Lehre, daß das Weib auch den Unstetesten festmacht, wagnerisch geredet, »erlöst«. Hier gestatten wir uns eine Frage. Gesetzt nämlich, dies wäre wahr, wäre es damit auch schon wünschenswert? – Was wird aus dem »ewigen Juden«, den ein Weib anbetet und festmacht? Er hört bloß auf, ewig zu sein; er verheiratet sich, er geht uns nichts mehr an. – Ins Wirkliche übersetzt: die Gefahr der Künstler, der Genies – und das sind ja die »ewigen Juden« – liegt im Weibe: die anbetenden Weiber sind ihr Verderb. Fast keiner hat Charakter genug, um nicht verdorben – »erlöst« zu werden, wenn er sich als Gott behandelt fühlt – er kondeszendiert alsbald zum Weibe. – Der Mann ist feige vor allem Ewig-Weiblichen: das wissen die Weiblein. – In vielen Fällen der weiblichen Liebe, und vielleicht gerade in den berühmtesten, ist Liebe nur ein feinerer Parasitismus, ein Sich-Einnisten in eine fremde Seele, mitunter selbst in ein fremdes Fleisch – ach! wie sehr immer auf »des Wirtes« Unkosten! – –

Man kennt das Schicksal Goethes im moralinsauren altjungfernhaften Deutschland. Er war den Deutschen immer anstößig, er hat ehrliche Bewunderer nur unter Jüdinnen gehabt. Schiller, der »edle« Schiller, der ihnen mit großen Worten um die Ohren schlug – der war nach ihrem Herzen. Was warfen sie Goethe vor? Den »Berg der Venus«; und daß er venetianische Epigramme gedichtet habe. Schon Klopstock hielt ihm eine Sittenpredigt; es gab eine Zeit, wo Herder, wenn er von Goethe sprach, mit Vorliebe das Wort »Priap« gebrauchte. Selbst der »Wilhelm Meister« galt nur als Symptom des Niedergangs, als moralisches »Auf-den-Hund-Kommen«. Die »Menagerie von zahmem Vieh«, die »Nichtswürdigkeit« des Helden darin erzürnte zum Beispiel Niebuhr: der endlich in eine Klage ausbricht, welche Biterolf hätte absingen können: »Nichts macht leicht einen schmerzlicheren Eindruck, als wenn ein großer Geist sich seiner Flügel beraubt und seine Virtuosität in etwas weit Geringerem sucht, indem er dem Höheren entsagt«... Vor allem aber war die höhere Jungfrau empört: alle kleinen Höfe, alle Art »Wartburg« in Deutschland bekreuzte sich vor Goethe, vor dem »unsauberen Geist« in Goethe. – Diese Geschichte hat Wagner in Musik gesetzt. Er erlöst Goethe, das versteht sich von selbst; aber so, daß er, mit Klugheit, zugleich die Partei der höheren Jungfrau nimmt. Goethe wird gerettet: ein Gebet rettet ihn, eine höhere Jungfrau zieht ihn hinan...

– Was Goethe über Wagner gedacht haben würde? – Goethe hat sich einmal die Frage vorgelegt, was die Gefahr sei, die über allen Romantikern schwebe: das Romantiker-Verhängnis. Seine Antwort ist: »am Wiederkäuen sittlicher und religiöser Absurditäten zu ersticken«. Kürzer: Parsifal – – Der Philosoph macht dazu noch einen Epilog. Heiligkeit – das letzte vielleicht, was Volk und Weib von höheren Werten noch zu Gesicht bekommt, der Horizont des Ideals für alles, was von Natur myops ist. Unter Philosophen aber, wie jeder Horizont, ein bloßes Nichtverständnis, eine Art Torschluß vor dem, wo ihre Welt erst beginntihre Gefahr, ihr Ideal, ihre Wünschbarkeit... Höflicher gesagt: la philosophie ne suffit pas au grand nombre. Il lui faut la sainteté

4

– Ich erzähle noch die Geschichte des »Rings«. Sie gehört hierher. Auch sie ist eine Erlösungsgeschichte: nur daß diesmal Wagner es ist, der erlöst wird. – Wagner hat, sein halbes Leben lang, an die Revolution geglaubt, wie nur irgendein Franzose an sie geglaubt hat. Er suchte nach ihr in der Runenschrift des Mythus, er glaubte in Siegfried den typischen Revolutionär zu finden. – »Woher stammt alles Unheil in der Welt?« fragte sich Wagner. Von »alten Verträgen«: antwortete er, gleich allen Revolutions-Ideologen. Auf deutsch: von Sitten, Gesetzen, Moralen, Institutionen, von alledem, worauf die alte Welt, die alte Gesellschaft ruht. »Wie schafft man das Unheil aus der Welt? Wie schafft man die alte Gesellschaft ab?« Nur dadurch, daß man den »Verträgen« (dem Herkommen, der Moral) den Krieg erklärt. Das tut Siegfried. Er beginnt früh damit, sehr früh: seine Entstehung ist bereits eine Kriegserklärung an die Moral – er kommt aus Ehebruch, aus Blutschande zur Welt... Nicht die Sage, sondern Wagner ist der Erfindet dieses radikalen Zugs; an diesem Punkte hat er die Sage korrigiert... Siegfried fährt fort, wie er begonnen hat: er folgt nur dem ersten Impulse, er wirft alles Überlieferte, alle Ehrfurcht, alle Furcht über den Haufen. Was ihm mißfällt, sticht er nieder. Er rennt alten Gottheiten unehrerbietig wider den Leib. Seine Hauptunternehmung aber geht dahin, das Weib zu emanzipieren – »Brünnhilde zu erlösen«... Siegfried und Brünnhilde; das Sakrament der freien Liebe; der Aufgang des goldnen Zeitalters; die Götterdämmerung der alten Moral – das Übel ist abgeschafft... Wagners Schiff lief lange Zeit lustig auf dieser Bahn. Kein Zweifel, Wagner suchte auf ihr sein höchstes Ziel. – Was geschah? Ein Unglück. Das Schiff fuhr auf ein Riff; Wagner saß fest. Das Riff war die Schopenhauersche Philosophie; Wagner saß auf einer konträren Weltansicht fest. Was hatte er in Musik gesetzt? Den Optimismus. Wagner schämte sich. Noch dazu einen Optimismus, für den Schopenhauer ein böses Beiwort geschaffen hatte – den ruchlosen Optimismus. Er schämte sich noch einmal. Er besann sich lange, seine Lage schien verzweifelt... Endlich dämmerte ihm ein Ausweg: das Riff, an dem er scheiterte, wie? wenn er es als Ziel, als Hinterabsicht, als eigentlichen Sinn seiner Reise interpretierte? Hier zu scheitern – das war auch ein Ziel. Bene navigavi, cum naufragium feci... Und er übersetzte den »Ring« ins Schopenhauersche. Alles läuft schief, alles geht zugrunde, die neue Welt ist so schlimm wie die alte – das Nichts, die indische Circe winkt...Brünnhilde, die nach der ältern Absicht sich mit einem Liede zu Ehren der freien Liebe zu verabschieden hatte, die Welt auf eine sozialistische Utopie vertröstend, mit der »alles gut wird«, bekommt jetzt etwas anderes zu tun. Sie muß erst Schopenhauer studieren; sie muß das vierte Buch der »Welt als Wille und Vorstellung« in Verse bringen. Wagner war erlöst... Allen Ernstes, dies war eine Erlösung. Die Wohltat, die Wagner Schopenhauer verdankt, ist unermeßlich. Erst der Philosoph der décadence gab dem Künstler der décadence s i c h  s e l b s t – –

...

[aus der Nachschrift:] Die Musik als Circe... Sein letztes Werk ist hierin sein größtes Meisterstück. Der Parsifal wird in der Kunst der Verführung ewig seinen Rang behalten, als der Geniestreich der Verführung... Ich bewundere dies Werk, ich möchte es selbst gemacht haben; in Ermangelung davon verstehe ich es... Wagner war nie besser inspiriert als am Ende. Das Raffinement im Bündnis von Schönheit und Krankheit geht hier so weit, daß es über Wagners frühere Kunst gleichsam Schatten legt – sie erscheint zu hell, zu gesund. Versteht ihr das? Die Gesundheit, die Helligkeit als Schatten wirkend? als Einwand beinahe?... So weit sind wir schon reine Toren... Niemals gab es einen größeren Meister in dumpfen, hieratischen Wohlgerüchen – nie lebte ein gleicher Kenner alles kleinen Unendlichen, alles Zitternden und Überschwänglichen, aller Feminismen aus dem Idiotikon des Glücks! – Trinkt nur, meine Freunde, die Philtren dieser Kunst! Ihr findet nirgends eine angenehmere Art, euren Geist zu entnerven, eure Männlichkeit unter einem Rosengebüsche zu vergessen... Ah dieser alte Zauberer! Dieser Klingsor aller Klingsore! Wie er uns damit den Krieg macht! uns, den freien Geistern! Wie er jeder Feigheit der modernen Seele mit Zaubermädchen-Tönen zu willen redet! – Es gab nie einen solchen Todhaß auf die Erkenntnis! – Man muß Zyniker sein, um hier nicht verführt zu werden, man muß beißen können, um hier nicht anzubeten. Wohlan, alter Verführer! Der Zyniker warnt dich – cave canem...

(Hören Sie einen Ausschnitt der Parsifal-Ouvertüre.)


C.P.Janz über Nietzsches Kompositionen
(Band I, S. 598 ff.)

(Janz, Jahrgang 1911, in Basel geboren, studierte Musik und war Mitglied des Basler Sinfonieorchesters von 1930-1976; weitere Studien: griechische Philologie, Philosophie, Germanistik und Musikwissenschaft – und er hat den musikalischen Nachlaß Nietzsches vollständig editiert)

"Es ist darum hier der Platz, Nietzsches Kompositionen in ihrer Bedeutung zu würdigen – absolut, als Musikstücke, und relativ, in ihrer Stellung im Wesen und Werk Nietzsches.

Es wäre natürlich verfehlt, eine »Ehrenrettung« Nietzsches als Komponist anzustreben, dennoch darf festgehalten werden, daß es trotz gewisser, manchmal recht störender kompositionstechnischer Mängel ernstgemeinte und ernstzunehmende Werke sind, die weitab von einer bloßen spielerischen Liebhaberei liegen. Nietzsche bedient sich der Musik genau wie der Sprache: zur Bewältigung und Übermittlung geistiger und seelischer Gehalte, sie ist ihm Mittel der Kommunikation, und dabei gelingen ihm einige sogar sehr ansprechende Stücke. Die kompositionstechnischen Mängel sind die bedauerlichen Reste eines nicht systematisch durchgeführten autodidaktischen Studiums. Daß man es auch in der Musik bei zähem Fleiß mit autodidaktischem Lehrgang zu etwas bringen kann, haben seine ungefähr zeitgenössischen russischen, im sogenannten »Petersburger mächtigen Häuflein« zusammengeschlossenen Komponisten (Cui, Glinka, Balakirew, Mussorgskij, Borodin, Rimskij-Korsakow) bewiesen. Und Nietzsche bewies es für das Gebiet der Philosophie, in der er ebenfalls Autodidakt war. Daß er dabei als Philosoph die ungleich größere Potenz darstellt denn als Musiker, bleibt natürlich außer Frage. Er hat aber auch in der Musik an Tiefe und Prägnanz des Ausdrucks dennoch manchen seiner »zünftigen« musikalischen Zeitgenossen mindestens erreicht, wobei es ein schwacher Trost bleibt, daß auch diese als zu wenig bedeutend neben einem Brahms und Schumann unserem Bewußtsein entschwunden sind.

Jenseits ihrer Mängel sind die Kompositionen und Kompositionsversuche Nietzsches aber von besonderem und hohem Wert für die Erhellung seines Grundwesens, das sich wirklich wie er es im Brief sagt – offenbart, und zwar in seinen einzelnen Facetten.

Mit den ersten, meist noch ungeschickten Versuchen unternimmt es der 10-14jährige Knabe, das Handwerkliche wie Notation, Satztechnik und Harmonik in die Hand zu bekommen. Er erhält Klavierunterricht und lernt sogar sinfonische Werke in der Transkription für Klavier kennen. So bleibt auch in seinen Kompositionsversuchen alles vom Klavier her gedacht. Als 12 bis 14jährigem werden ihm nun dazu die Oratorienaufführungen im Naumburger Dom zum Erlebnis. Das Religiöse wird zum ästhetischen Genuß, was seiner schwärmerischen Religiosität besser entspricht als ein echter Glaube. Er komponiert nun auch Messe, Motetten, ein Miserere und schließlich Teile zu einem Weihnachts-Oratorium. Alle diese Werkansätze sind als gescheitert anzusehen. Es ist aber zu fragen, ob sie nur am kompositionstechnischen Unvermögen gescheitert sind oder nicht vielmehr auch von der Sache her.

...

Nicht ganz 17jährig (Sommer 1861) konvertiert er, nur wenige Monate nach der Konfirmation, Teile aus dem Weihnachtsoratorium zu einer »weltlichen« Klavierfantasie (>Schmerz ist der Grundton der Natur<), um sich dann deskriptiver Musik in einer >Ermanarich-Symphonie< zuzuwenden. Rasch erkennt er die engen Grenzen und Möglichkeiten bildhaft schildernder Musik. Es ist ja gerade die Überlegenheit der Musik gegenüber den anderen Künsten, daß sie vom konkreten Einzelfall wegführt, ohne dabei »abstrakt« zu werden. Zum >Ermanarich< verfaßt er noch ein detailliertes Programm der Szenerie und Handlung Programme zu späteren Kompositionen geben nur noch Hinweise auf allgemeine Bewegungen oder seelische Verfassungen, Stimmungen. Der Versuch mit deskriptiver Musik mußte von der Sache her scheitern, verdarb die musikalisch genuine Form, aber es gelang ihm dennoch ein harmonisch kühnes Stück. Darauf folgt eine Periode der Kleinformen, die in seiner Zeit beliebten »Albumblätter« (bei Mendelssohn »Lieder ohne Worte«) und Lieder, also Lyrik. Hier gibt er als Komponist sein Bestes.

Schon C. A. Bernoulli hat nachdrücklich auf den lyrischen Grundzug im philosophischen Werk Nietzsches hingewiesen, noch ohne den kräftigsten Beweis, die lyrischen Kompositionen, zur Hand zu haben. Nach längerer Pause greift Nietzsche wieder die Großform der mehrteiligen Fantasie auf unter dem Obergedanken »Freundschaft«. Die Musik gerät ihm hier ebenso ins Pathetische wie seine Freundesbriefe, die Fantasien werden formlos, ja unförmig. Nietzsche scheitert in den »Freundschafts«-Kompositionen (Monodie, Manfred, Nachklang, Hymnus) genau so wie in den Freundschaften selber. Es stellt sich hier die ähnliche Frage wie beim Religiösen: versuchte er seine Unfähigkeit zur echten Freundschaft auf dem Umweg über die Ästhetik zu überwinden? In so verschiedene Phasen die Kompositionstätigkeit aufteilbar scheint, ein Grundzug hält alles, von den ersten Versuchen bis zum »Hymnus« zusammen: beinahe alle Kompositionen hat Nietzsche zu Geschenkzwecken oder Widmungen benutzt, die meisten sind sogar nur darum entstanden. Es sind ganz persönlich gerichtete Kundgebungen seiner Neigung und stehen darum in ihrem Wesen dem Brief näher als dem philosophischen Werk; sie haben einen durch die Art der Musik gegebenen gehobenen Aussagewert in einer durchaus persönlichen Weise. Obwohl sich Stileinflüsse verschiedener Komponisten aufzeigen lassen, wie Beethoven, Schumann, Chopin, Liszt, so eignet ihnen doch ein spezifischer Nietzschescher Zug der Melancholie. Auffallend ist das völlige Fehlen Wagnerscher Einwirkung (bis auf den »Nachklang einer Sylvesternacht«). Die Dämonie und Gefühlsmächtigkeit Wagners blieb dem Musiker Nietzsche fremd, als Musiker war er nie »Wagnerianer«.


Nietzsche als Komponist - ein Vortrag

Am 15.-17. Oktober 2000 wurde von mir auf einem Seminar der Gesellschaft für kritische Philosophie in Kottenheide zu Nietzsches 100. Geburtstag in einem Vortrag das auf dieser Seite behandelte Thema zusammengefaßt und noch einmal um bedeutende Fakten und Anmerkungen erweitert; auch findet sich dort eine weitere Fassung des Lebensgebets von Lou Salomé mit genauem Textvergleich in der Fassung für Alt und Klavier, wie sie schließlich Nietzsche dann vertont hat. Trotz mancher Wiederholung des Inhalts dieser Seite lohnt sich die Lektüre mit dem folgenden Link!

Nietzsche als Komponist


Discografie

An dieser Stelle möchte ich Ihnen die mir bisher zugänglich gewordenen Aufnahmen der Musik Nietzsches sowie Vertonungen und Rezitationen von Texten Nietzsches vorstellen, die teils auf CD, teils auf MC bisher erschienen sind. Naturgemäß werden mir nicht alle existierenden Aufnahmen bekannt geworden sein; wenn Sie Kenntnis von weiteren Aufnahmen haben, würde ich mich über deren Mitteilung freuen!

  • Meine früheste Aufnahme ist diejenige von Dietrich Fischer-Dieskau und Aribert Reimann von 1981 (s. weiter oben auf dieser Seite mit Beispielen - weitere auf der englischen Version!), ein mir von Fischer-Dieskau übersandter Mitschnitt des Konzertes auf MC.
    Die beiden Interpreten haben später nach meiner Kenntnis auch eine CD herausgebracht, die jedoch vergriffen ist.


  • NIETZSCHE: THE MUSIC. JOHN BELL YOUNG
    Videos und abspielbare Clips zu Nietzsches Musik im Internet unter http://www.nmp-online.org

  • Mr. John Bell Young schreibt mir dazu (Email vom 09.06.2004):
    "... Es fiel mir aber auf, dass Ihre Discographie einen Haupt- und Unterlassungsfehler hat.
    Es waren nämlich meine eigenen kommerziellen Aufnahmen (zwei) für den ‘Newport Classic Label’, die 1991 und 1992 (mit dem Tenor John Ahler, dem Geiger Nick Eanet und den Pianisten Constance Keene und Thomas Coote, die mir im vierhändigen Klavier beistanden), die die ersten umfangreichen und professionell aufgenommenen Platten von Nietzsches Musik sind. Es waren eigentlich diese Aufnahmen, die in den Medien internationale Aufmerksamkeit erweckten. Alle anderen Platten, die Sie erwähnen, sind Nachahmungen irgendwelcher Art und sind überhaupt nicht gut angekommen oder beurteilt worden, und das mit gutem Grund, da diese Darbietungen zum großen Teil Amateurdarbietungen waren und sehr schlecht gespielt und nicht gut recherchiert waren.
    In der Zwischenzeit sind meine Newport Classic-Aufnahmen von Sony Classical erworben worden, die diese in naher Zukunft wieder herausbringen werden.
    ... Ich wäre Ihnen sehr verbunden, falls Sie die Information über mich auf Ihrer Website richtigstellen würden und wenn Sie meine bahnbrechenden Aufnahmen, die die Basis für die umfangreiche Forschung und das Interesse an Nietzsches Musik schafften, mit einbeziehen würden. Ich möchte auch noch hinzufügen, dass das Nietzsche-Musik-Projekt, das ich zusammen mit Tali Makell 1990 ins Leben rief, vor kuzem eine neue Doppel-CD der Musik herausgebracht hat, und darauf von verschiedenen neuen Künstlern hervorragend dargeboten wird, (http://www.nmp-online.org) sowie einen Film zum Thema, in deutscher und englischer Sprache."


  • In den Jahren 1995/6 erschien eine Doppel-CD bei Albany Records in den USA, die leider ebenfalls vergriffen ist, wohl die bislang umfangreichste Veröffentlichung Nietzschescher Kompositionen. Lauretta Altmann (Klavier), Wolfgang Bottenberg (Klavier), Valerie Kinslow (Sopran), Erik Oland (Bariton) und The Orpheus Singers unter Peter Schubert bringen insgesamt 43 Kompositionen Nietzsches, unterteilt in "Compositions of his Youth 1857-63" und "Compositions of His Mature Years 1864-82". Darunter auch das "Gebet an das Leben" (411 KB): diesen Gedicht-Text von Lou Salomé hatte Nietzsche 1882 vertont.

    Nachtrag: Nach einem Hinweis von Martin Katte, für den ich mich bedanke, ist diese Doppel-CD doch noch erhältlich, und zwar bei Concordia University Department of Music, 7141 Sherbrooke St. West, Montreal, Quebec H4B 1R6 Canada, (Concordia Productions 1994)
    oder einfacher: im Weimarer Nietzsche-Archiv (falls noch vorrätig).

  • Eine MC mit Instrumentalwerken für Klavier (teils vierhändig) bzw. Klavier und Violine stammt aus dem Jahr 2000 von der Audiothek der Ev. Akademie Hofgeismar anläßlich eines Vortragskonzerts im Schlößchen Schönburg (28.10.2000). Ausführende waren Larissa Degner, Violine - Michael Tannenbaum, Klavier - Uwe Haensel, Klavier - Matthias Viertel, Kommentar.

  • Ebenfalls in 2000 erschien die CD "Friedrich Nietzsche: Meine Seele ist das Lied eines Liebenden", mit Stella Lunit Riebel (Sopran) und Anna Kirichenko (Klavier). Die CD enthält 12 Lieder Nietzsches, die teilweise bereits 1999 in einem von der Nietzsche-Gesellschaft veranstaltetenen Konzert in der Kirche von Röcken zu hören waren. Daraus ein Hörbeispiel: "Gern und Gerner" (Text: Chamisso) 895 KB

  • In der Zwischenzeit sind mir durch die freundliche Zusendung von Herrn Prof. H. J. Schmidt, dem dafür mein herzlicher Dank gilt, weitere Kompositionen bekannt geworden: Auf dem VII. Dortmunder Nietzschekolloquium 2001 führten Tjark Baumann, Tenor, und Holger Kuhmann, Klavier, verschiedene Kompositionen auf, welche auf einer CD dokumentiert wurden. Mit freundlicher Genehmigung von H. Kuhmann darf ich Ihnen hier diese CD mit einem Beispiel vorstellen: Jugendkomposition von 1864: "Ungewitter" nach Chamisso (498 KB)

    Dieses Team hat unter Verstärkung durch den Sprecher Mathis Schrader zum VIII. DNK 2003 eine weitere CD herausgebracht, die sich den Jugendwerken in Text und Komposition widmet; mit Genehmigung der Künstler darf ich Ihnen hier als Kostprobe

    die Rezitation "Lebenslauf I+II" (868 KB),
    die Komposition "Aus der Czarda" (968 KB)
    sowie das Lied nach Chamisso "Das Kind an die erloschene Kerze" (1 MB)

    vorstellen. Auch diese CD können Sie unter der vorgenannten Adresse bestellen.

    Inzwischen wurde der Vertrieb dieser Aufnahmen übernommen vom Verlag Hörzeichen.de, mit diesem Link gelangen Sie direkt zur ausführlichen Vorstellung dieser CD durch den Verlag!


  • Bei Patmos ist im August 2000 eine CD von Rufus Beck erschienen mit dem Titel "TagNachTraum", auf der Nietzsche-Texte zitiert und musikalisch unterlegt werden. Ein gut gelungenes Hörbeispiel: Nietzsches Venezianisches Gondel-Lied (432 KB). Den Text des Gedichtes hat auf ganz andere Weise etwas weiter unten auch Alwa Glebe interpretiert.

  • Wohin gehen wir - Tonale Szenografie von Artraum Audio-Produktion: Lars Jung (Sprecher) und Peter Kühnel (Musik) (Internet: www.Artraum-audio.de) haben ein interessantes Projekt verwirklicht: Auf ihrer neuen CD mischen sie unter selbsterstellten Überschriften (Entree, Geschöpf und Schöpfer, Warnung, Verfall, Freigeist, Ich, Macht und Individuum, Erkenntnis, Versuchung, Wahrheist-SINN, Tod, Buch) wichtige Original-Zitate Nietzsches mit eigener Musik. Neben manch bekanntem Nietzsche-Text (z.B. "Gott ist tot") findet sich auch eher weniger Bekanntes, etwa aus "Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinn" und der Text gegen Obrigkeits- und Staatshörigkeit aus der 3. Unzeitgemäßen Betrachtung. Ein Hörbeispiel ("Tiefe Lust") und weitere Erläuterungen zu dieser CD finden Sie auf meiner Aktuell-Seite. Hier nun noch ein Ausschnitt aus Track 4 dieser CD: Verfall - 625 KB, der die bis und gerade heute gültige Zeitdiagnose Nietzsches aufweist.

  • Auf ihrer CD "Irrlichter", im Jahre 2005 auf Cuptose Records erschienen, hat Alwa Glebe eines der schönsten und bekanntesten Gedichte Nietzsches interpretiert, was ich sehr gerne zum Anlass nehme, dieses hier vorzustellen:

    Ecce Homo: Warum ich so klug bin, 7 (KSA 6, 291)

    An der Brücke stand
    jüngst ich in brauner Nacht.
    Fernher kam Gesang:
    goldener Tropfen quoll's
    über die zitternde Fläche weg.
    Gondeln, Lichter, Musik
    trunken schwamm's in die Dämmrung hinaus ...

    Meine Seele, ein Saitenspiel,
    sang sich, unsichtbar berührt,
    heimlich ein Gondellied dazu,
    zitternd vor bunter Seligkeit.
    - Hörte Jemand ihr zu? ...

    Den nämlichen Text Nietzsches hat (s. weiter oben) Rufus Beck bei Patmos rezitierend mit Musik unterlegt.

    Dankenswerter Weise hat die Künstlerin ihre Interpretation im Internet zur Verfügung gestellt; unter http://www.myspace.com/alwaglebe finden Sie nicht nur diese bemerkenswerte Verbindung zwischen Nietzschescher Poesie und musikalischem Ausdruck unserer Zeit, sondern auch weitere Songs und ausführliche Hinweise zu Alwa Glebe.

    Dass nicht nur die Interpretation philosophischer Vorlagen möglich ist, sondern dass auch moderne philosophische Grundprobleme einer musikalischen Ausdeutung nicht nur zugänglich sind, vielmehr zu reizvollen und nachdenklich stimmenden Liedern geformt werden können, zeigt Alwa Glebe mit dem ebenfalls auf dieser CD enthaltenen Track "Ich weiss" auf, den Sie ebenfalls bei MySpace anhören können. In knappster Form wird darin das Erkenntnisproblem der modernen Gehirnforschung neben die nur illusionär zu überwindende Isolation des Individuums gestellt und mit dem Sokratischen Nichtwissen beantwortet - denn dies ist die eigentliche Pointe des Songtitels ...



Im jungen Culex-Verlag ist eine Neueinspielung der Klavierkompositionen Nietzsches erschienen:

Zu Recht schreibt Georg Hutter im Text zur CD: "Wir betrachten diese Musik als einen weiteren wesentlichen Zugang und Möglichkeit, tiefer in die Gedankenwelt Friedrich Nietzsches einzudringen, getreu seiner Einsicht, dass die Musik der reinste und unmittelbarste Ausdruck einer Seele ist."

Der Verlag stellt auf seiner Internetseite zur CD - wo Sie diese auch bestellen können - den Pianisten Carsten Storm so vor:
"Diese raren Aufnahmen stammen aus der ersten produzierten Schallplatte des studierten Pianisten Carsten Storm aus dem Jahr 1988. Inzwischen ist der Musiker auch als Tonmeister, Solist und Dirigent aufgefallen. Derzeit hat er einen Lehrauftrag für Akustik und Tonstudiotechnik an der Hochschule für Musik und Theater in Rostock. Carsten Storm digitalisierte & remasterte das von ihm eingespielte Original-Band; die Wiederveröffentlichung zeichnet sich daher durch eine beeindruckende Qualität aus."

Nachdem ich mir die CD einige Male angehört habe, kann ich den letzten Worten nur zustimmen: Sowohl von der technischen Qualität der Aufnahme her wie auch im Hinblick auf den brillanten pianistischen Vortrag von Carsten Storm handelt es sich um eine der besten Einspielungen von Nietzsches Klavierkompositionen. Gerade indem der Pianist Nietzsches mehr oder weniger kurze Klavierstücke ernst nimmt, macht die Aufnahme hörbar, was Nietzsche in seiner Musik eben nicht zum Hören bringen kann - auch in diesen Kompositonen wird deutlich, was schon Hans von Bülow an dessen Manfred-Meditation kritiserte: Überspannte Emphase bei fehlender Durchformung und musikalischer "Unlogik", manieristische Effekte neben sich selbst unklarem leidenschaftlichem Drängen verbunden mit starker Chromatik. Also wirklich auch eine Art Spiegel des Seelenzustandes des jungen Nietzsche, der seinen Weg von der Theologie über die Philologie zur Philosophie erst noch sucht und dabei mit aller Leidenschaft zu "ungeahnten Ufern" vorwärtsdrängt.
Dies und die hervorragende Einspielung können die beiden folgende Beispiele vielleicht verdeutlichen; dem Culex-Verlag gilt mein herzlicher Dank für die Genehmigung, diese Ausschnitte hier in MP3-Qualität zur Verfügung zu stellen:

Ermanarich (7:05 - 6,6 MB)

Albumblatt   (2:15 - 2,1 MB)

Wer sich also für Nietzsches Musik als eines Ausdrucks seines Wesens interessiert, kommt an dieser neuen und gelungenen Einspielung des Culex-Verlages nicht vorbei - eine Bestellmöglichkeit ist oben angegeben.



Nietzsche vertont Byron: Ein Fragment von 1865

Erst jetzt ist mir eine bereits 1988 / 1992 veröffentlichte Vertonung des Byron-Gedichts "Sonne der Schlaflosen" durch Nietzsche bekannt geworden; auf dieser CD stellen der Bariton Wolfgang Holözmair und der Pianist Thomas Palm diverse Vertonungen Byronscher Gedichte von Robert Schumann, Hugo Wolf, Carl Loewe u.v.a und eben als Nr. 3 diejenige von Nietzsche vor. Erschienen ist die CD bei Canterino Musikproduktion, POESIE - Vol. 4.

Sonne des Schlaflosen
Byron: Hebräische Melodien (1814)
Vertonung: Friedrich Nietzsche. Fragment (1865)
Übersetzung: Julius Körner

Schlafloser Augen Sonne, trüber Stern,
Dein tränenvoller Strahl erzittert fern.
Du offenbarst die Nacht, die dir nicht weicht.
O wie dir ganz des Glücks Erinnrung gleicht.

Hören Sie das Fragment: 1:25 Minuten



Neue CD erschienen: Michael Krücker spielt sämtliche Werke Nietzsches für Klavier solo.

Bei NCA (New Classical Adventure) hat der bekannte Pianist in bester Qualität auf SACD Nietzsches Solo-Klavierkompositionen ganz ausgezeichnet eingespielt. Die einzelnen Stücke können Sie der unten stehenden Grafik der Cover-Rückseite entnehmen - alle wichtigen Sachen sind natürlich dabei, wie "Ermanarich", Hymnus an die Freundschaft, die Sonaten und vieles mehr, insgesamt 28 Tracks.
Die einfühlsame Interpretation Krückers in Verbindung mit seiner hervorragenden Spieltechnik bringen Nietzsches Stücke zum Klingen und lassen die musikalischen Aussagen Nietzsches in den meist kleinen Kompositionen nachvollziehbar werden.
Der CD ist ein ausführliches Booklet beigegeben mit einer kurzen Biographie Nietzsches sowie ein Text von Claus Zittel (Florenz) über Nietzsche und sein Verhältnis zur Musik. Alle Texte sind neben Deutsch auch in Englisch und Französisch enthalten.
Als "Zitat" möchte ich hier einen kleinen Ausschnitt, Track Nr. 10 "Sturmmarsch" (0:58) anbieten, damit Sie einen Eindruck von der ausgezeichneten Qualität dieser Einspielung erhalten.

Sturmmarsch (MP3, 0:58, 781 Kb)

Allen an Nietzsche und seiner Musik interessierten kann diese SACD nur empfohlen werden. Eine weitere Rezension der CD findet sich bei Klassik.com im Internet
Einen weiteren längeren Ausschnitt dieser CD finden Sie bei Youtube mit diesem Link: Ermanarich. Symphonische Dichtung.
Eine weitere neue Rezension (15.10.2011) findet sich Codex flores.



Neuerscheinung beim Verlag Dohr: Sämtliche Lieder Nietzsches

Wolfgang Bottenberg hat eine neue kritisch revidierte Gesamtausgabe sämtlicher 32 Lieder Nietzsches herausgebracht (ISMN M-2020-2261-0, EURO 24,80), die zusätzlich 17 Klavierfassungen enthält. Informieren Sie sich auf der entsprechenden Seite des Verlages!



Neuerscheinung bei autitorium maximum: "Sie hätte singen sollen, diese Seele ..."

Michael Steinmann als Autor verantwortet die gesprochenen Texte, für die Wiedergabe der Musik Nietzsches ist Cornelis Witthoefft zuständig, der auch das zugehörige und im Internet herunterladbare Booklet verfasst hat ("Der Musiker Friedrich Nietzsche. Zugleich eine Anleitung zum Hören nach Nietzsche").
In einer Mischung aus Nietzsche-Texten und deren Erklärung (meist der Interpretation im Stile von W. Kaufmann folgend) und 28 Kompositionen Nietzsches (darunter einige Ersteinspielungen) arbeiten die Autoren in gelungener Weise die Verbindung von Philosophie und Musik bei Nietzsche heraus - sehr hörenswert!



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